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11.04.08

Kretzsches melancholische Abschiedstournee

München/Magdeburg -
Freitag beginnt die neue Bundesliga-Saison.
Für Stefan Kretzschmar könnte es eine lange Abschiedstournee werden.


Der Vertrag des 33-Jährigen beim SC Magdeburg läuft nach elf Jahren im Sommer 2007 aus. Was danach kommt, steht in den Sternen.
Kretzsche ist sich der Situation bewusst. "Man fängt plötzlich an, über alte Zeiten zu reden", sagt der Linksaußen im Interview mit Sport1.de.
Kretzschmar spricht über seine Knieprobleme, Top-Favorit Kiel und erklärt, warum es "eine geile Saison" wird. In Sachen WM hat er dagegen gemischte Gefühle.
Sport1: Herr Kretzschmar, die Vorbereitung ist zu Ende. Haben die alten Knochen noch gehalten?
Stefan Kretzschmar (lacht): Eigentlich schon. Ich habe alles mitmachen können und verletzungsfrei überstanden. Und das Knie habe ich auch checken lassen. Das Ergebnis war nicht überragend, aber eine Operation wäre quatsch. Ich werde das eine, vielleicht die zwei Jahre noch durchziehen und sehen, wie es läuft.
Sport1: Sie sprechen Ihren Knorpelschaden im rechten Knie an.
Kretzschmar: Ja. Wenn ich noch ein Jahr dranhänge, dann will ich auch auf der Mitte spielen. Das habe ich ja auch schon gemacht. Ich merke, dass ich von Außen nicht mehr so weit springen kann wie noch vor fünf Jahren. Ich lande schon viel früher. Darunter leiden meine Varianten beim Wurf.
Sport1: Diese Saison könnte Ihre letzte in der Bundesliga werden.
Kretzschmar: Das wird einem so langsam bewusst. Als ich bei einem Vorbereitungsturnier in Stuttgart alte Weggefährten getroffen habe, haben wir ein bisschen in Erinnerung geschwelgt. Uns an Olympische Spiele zurückerinnert. Man fängt plötzlich an, über alte Zeiten zu reden. Und wird langsam wehmütig. Man denkt dran, dass man Samstag vielleicht zum letzten Mal in Melsungen spielt. Die 17.-letzte Busfahrt. Eines der letzten Biere mit den Jungs in der Kabine. Da kriegt man leicht melancholische Anfälle.
Sport1: Inwiefern?
Kretzschmar: Na ja, 15 Jahre Handball sind eine lange Zeit. Da gibt es viele Dinge, die einmalig waren. Und bald fängt ein neuer Abschnitt an. Etwas, wovon man gar keine Ahnung hat. Man weiß nicht, was einen erwartet. Im Prinzip habe ich ja nur Handball gespielt. Das hat mein Leben bestimmt, etwas anderes kennt man nicht. Du denkst an die acht Stunden Busfahrt nach Göppingen, quatschen mit den Jungs. Das gibt es bald nicht mehr. Das wird mir fehlen. Aber das, was danach kommt, reizt mich natürlich. Dann die neue Epoche meines Lebens beginnen.
Sport1: Nicht nur Sie werden älter. Auch Stars wie Joel Abati oder Steffen Stiebler sind bereits im zweiten Teil ihrer Karriere, Johannes Bitter verlässt Magdeburg nach der Saison. Wird es ein besonderes Jahr für den SCM?
Kretzschmar: In den vergangenen Jahren war fast jedes Jahr ein Umbruchsjahr. Aber wenn die alten Spieler wie Joel oder Steffen oder auch ich gehen werden, wird ein neuer, frischer Wind reinkommen. Und ich bin schon mal gespannt, wie die Fans reagieren.
Sport1: Die Meisterschaft noch einmal zu holen, scheint aber derzeit Utopie. Zu stark wird Kiel wohl sein.
Kretzschmar: Ganz sicher ist Kiel der Top-Favorit. Die Truppe ist mittlerweile in ganz Europa das Non plus Ultra. Selbst gegenüber Ciudad Real. Die haben eine gute Chance, die Champions League zu gewinnen.
Sport1: Wir sprechen immer von einem letzten Jahr in Magdeburg. Was macht Stefan Kretzschmar danach? Ein Wechsel nach Berlin oder Hamburg?
Kretzschmar: Das entscheide ich erst nach der WM. Dann kann ich realistisch einschätzen, wie fit ich bin. Wenn ich mich jetzt zu Berlin oder Hamburg äußere, platzt gleich wieder eine Bombe, egal, was ich sage. Nein, es fragen viele Vereine an. Aber ich lasse mir Zeit mit der Entscheidung.
Sport1: Berlin ist für Sie noch immer interessant?
Kretzschmar: Klar. Dort passiert viel. Ich beobachte viele 'Kriegsschauplätze', auch Berlin. Man hat eine komplett neue Mannschaft, aber den Aufstieg kann man nicht kaufen, auch wenn ich mir den Aufstieg wünschen würde.
Sport1: Immerhin findet das WM-Eröffnungsspiel in der Hauptstadt statt. Wo werden Sie dann sein?
Kretzschmar: Ich hoffe, in der Halle, vielleicht als TV-Co-Kommentator. Ich will mir schon die deutschen Spiele ansehen, auch ein paar Spiele in Magdeburg beobachten.
Sport1: Spüren Sie schon etwas von einer WM-Euphorie?
Kretzschmar: Noch nicht. Viele wissen gar nicht, dass die WM in Deutschland stattfindet. Ich habe Dirk Nowitzki ne SMS geschickt, der wusste von nichts. Na ja, er ist ja auch weit weg. Aber so richtig spüre ich eine Vorfreude nur bei den Leuten, die sich Karten besorgt haben.
Sport1: Viel Zeit ist nicht mehr.
Kretzschmar: Aus meiner Sicht war es ein großer Fehler, die Fußball-WM nicht zu nutzen. Da war die ganze Welt zu Gast, da hätte man genügend Werbung und Promotion machen können. Die Chance ist leichtfertig verpasst worden. Aber ich glaube trotzdem, dass es die beste WM aller Zeiten wird. In keinem anderen Land wird Handball so geliebt und so respektiert wie in Deutschland. Aber man könnte noch viel mehr draus machen.
Sport1: Die Bundesliga boomt ja weiter.
Kretzschmar: Und da wird ja für die WM geworben. Endlich geht es wieder los. Es kribbelt. Und ich merke an mir, dass ich langsam wieder pampig werde.
Sport1: Verabschieden Sie sich aus Magdeburg mit einem Titel?
Kretzschmar: Da müsste alles passen. Man muss realistisch sein. Vom Etat her gehören wir nicht zu den Top 5, 6. Wir haben eine gute, talentierte Mannschaft. Aber für einen Titel braucht man viel Glück. Doch ein Traum wäre es, keine Frage.

Das Gespräch führte Michael Schwartz
 

Stefan Kretzschmar
                                           
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