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Quelle:
mz-web.de
Burgenlandkreis
Vergoldete Meisterjahre
VON HOLGER ZIMMER
Rolf Hippe. (FOTO: MZ)
REICHARDTSWERBEN/MZ. 21 Jahre war Rolf Hippe und
1962 einer der jüngsten, die die Meisterprüfung ablegten. Jetzt bekam er von der
Handwerkskammer Halle zum 50. Jubiläum eine Urkunde. Wie man sich da fühlt?
"Stolz. Aber andererseits ist es auch erschreckend, wie die Zeit vergangen ist."
Hippe steht heute nicht mehr in der Backstube. Die Brötchenherstellung überlässt
er anderen, hat doch seine Tochter Karola Hippe zwei Gesellen und halbtags zwei
Verkäuferinnen. Den Brötchenkorb hat er nur noch mal für den Fotografen in die
Hand genommen. Immerhin hat Hippe die Geschäfte schon 2004 an seine Nachfolgerin
übergeben. Aus der Backstube war er aber damals nicht zu kriegen, bis ihn vor
drei Jahren eine Knie-Operation dazu zwang, kürzer zu treten. Heute fährt er
jedoch immer noch Kuchen aus, hilft im Herbst bei der Stollenbäckerei und beim
Einkauf. Letzteres ist ohnehin kein Problem, saß er doch bis vor einigen Jahren
im Aufsichtsrat der Einkaufs- und Liefergenossenschaft Krostitz.
Früher hätte sich Rolf Hippe durchaus vorstellen können, Architekt zu werden.
Doch der Vater war im Krieg geblieben, die Mutter führte das Geschäft und ein
Onkel half ihr. Da blieb gar nichts anderes übrig, als auch das Handwerk, das in
der Familie eine lange Tradition hat, zu erlernen. Kurz nach seiner
Meisterprüfung übernahm er den Betrieb und setzte 1970 beim Umbau auch einiges
von den Plänen seines Vaters um. Drei Monate brauchte es, bis die Backstube
erweitert und ein neuer Laden entstanden war. Das Amt für öffentliche
Versorgungswirtschaft half, so dass die Baumaterialbereitstellung kein Problem
war. Und auch zur Armee musste Rolf Hippe nicht, weil die Bevölkerungsversorgung
Vorrang hatte. "Dafür war ich dann zehn Jahre in der Feuerwehr aktiv." In den
80er Jahren stellte er die Brotproduktion ein. 62 Pfennige für den Dreipfünder
und 94 für einen Fünfpfünder, das waren so verlockend niedrige Preise, dass die
Leute das Brot verfütterten. Und Schweinefutter wollte er nicht backen. Was sich
geändert hat in den Jahren seit der Wende? Der vor zwei Jahren aufgebaute neue
Backofen hilft beispielsweise, zwei Drittel der Heizkosten zu sparen. Beim alten
Kohleofen musste Hippe früher schon am Sonntag mit dem Heizen beginnen, damit am
Dienstagmorgen Brötchen und Brot gebacken werden konnten. Außerdem musste Rolf
Hippe montags und donnerstags 23.45 Uhr aus den Federn, weil nach und vor den
Wochenenden besonders viel gekauft wurde.
An Rosinen und Sultaninen für die Stollenbäckerei fehlt es nicht mehr. Im
Angebot sind ein Dutzend Brötchensorten auch mit Sesam oder Kürbiskernen. Und
die Kuchensorten haben sich ebenfalls vervielfacht. Sieben waren vor der Wende
je nach Saison im Angebot. Heute kann man bis zu 30 verschiedene Sorten backen.
Und Plätzchen gab es vier, fünf Sorten in der DDR und jetzt sind es allein in
der Weihnachtszeit dreimal so viele. "Die Arbeit ist mit früher vergleichbar,
aber sie ist heute leichter und sauberer", sagt der Senior, der die alte
Bäckerei in guten Händen weiß.
2001 wurde Hundertjähriges gefeiert
In der fünften Generation führt Karola Hippe die Bäckerei in Reichardtswerben.
Nachweislich ist laut Rolf Hippe, dass das Haus 1900 erbaut wurde. Nicht belegt
ist das Datum der Bäckerei-Eröffnung. Der 71-Jährige hält es aber für
unwahrscheinlich, dass die Bäckerei von Paul Hippe noch im selben Jahr eröffnet
hat. Deshalb wurde das einhundertste Firmenjubiläum kurz nach der
Jahrtausendwende 2001 gefeiert. Unter dem Namen Hippe gab es in der heutigen
Ernst-Thälmann-Straße schon etliche Jahre vor 1900 noch eine andere Bäckerei,
die der Vater von Firmengründer Paul Hippe betrieben hat. Bis in die DDR-Zeit
existierten insgesamt zwei Bäckereien in Reichardtswerben, darunter eine, die
von der Gemeinde verpachtet wurde, sowie eine in Posendorf. |